Wird Deutschland in Zukunft im internationalen Kontext an Bedeutung verlieren?
Ein Kommentar aus Sicht der Zukunftsforschung am Beispiel des demografischen Wandels
Zusammenfassung: Die deutsche Wirtschaft könnte in Zukunft durch ungünstige strukturelle Entwicklungen, allen voran durch den demografischen Wandel, unter Druck geraten und dadurch gesamtwirtschaftlich gesehen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Es besteht zudem die Gefahr, dass die steigende Wirtschaftskraft aufstrebender Schwellenländer die Bedeutung des Innovationsstandortes „Deutschland“ sukzessive ablösen. Deshalb ist es wichtig, konsequent politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Instrumente für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit einzusetzen. Ein Großteil möglicher Maßnahmen zielt auf strukturelle Apekte in den Unternehmen Deutschlands ab. Insbesondere Fachkräfte werden aufgrund des demografischen Wandels immer „knapper“. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen deshalb an dem Engpass „Personal“ gezielt anknüpfen und Maßnahmen zur „Ressourcensicherung“ ergreifen.
In einer auf Wachstum orientierten Wirtschaftswelt ist die Innovationskraft eines Landes von großer Bedeutung. Monetäre Geldströme fließen in Länder, die ceteris paribus hohes BIP-Wachstum und somit einen hohen Return on Invest versprechen. Auf Unternehmensebene bedeutet dies, dass Unternehmen wachsen müssen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Kontext zu erhalten. Das ist das Diktat des Kapitalismus, denn wenn ein Unternehmen nicht wächst, kann keine entsprechende Rendite erwirtschaftet werden und Kapital wird vernichtet. Die relative Rendite muss dabei größer sein als die Inflation bzw. der Zins, sonst wandert das Kapital in Länder ab, die bessere Anlagemöglichkeiten versprechen.
Unsere Wirtschaft in Deutschland ist von zahlreichen Herausforderungen geprägt. Der von schwacher Kaufkraft geprägte Binnenmarkt in Deutschland war durch die hohen Handelsbilanzüberschüsse schon lange in den internationalen Fokus gerückt und wurde vielfach kritisiert.[1] Zwar hatte sich die Situation durch die Geldmarktpolitik der EZB etwas verbessert; dennoch ist zu erwarten, dass der deutsche Binnenmarkt in den nächsten Jahren weiter schrumpft, da der demographische Wandel sich weiter verschärfen wird. (Ähnliche Entwicklungen sehen wir übrigens in unterschiedlichem Ausmaß in den meisten westlichen Nationen und sogar bereits in China.) Zuvor wird sich allerdings die Nachfrage hin zu Gütern verschieben, die einer Gesellschaft mit einem hohen Altersdurchschnitt entsprechen, z.B. werden Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen weiter nachgefragt, die wahrscheinlich bei fehlender gesteuerter Migration bzw. signifikanten Fortschritten bei der Digitalisierung und Automatisierung nur schwer befriedigt werden können.
Der demografische Wandel ist aber nicht nur für die Nachfrage auf den Binnenmärkten problematisch, sondern auch hinsichtlich des Angebotes, was für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein hohes Risiko darstellt. Durch den demografischen Wandel werden ceteris paribus mehr Menschen in Rente gehen als neue Arbeitskräfte nachfolgen, sodass es zu einem Arbeitskräftedefizit kommen wird. Es wird erwartet, dass ab 2025 die geburtenstärksten Jahrgänge, die Baby-Boomer-Generation, in Rente gehen wird.[2] Bis 2030 bedeutet das laut einer TK-Studie für die deutsche Wirtschaft ca. sechs Millionen fehlende Arbeitsplätze[3], das Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit (IZGA) spricht in seiner Studie sogar von ca. zehn Millionen fehlenden Arbeitsplätzen.[4] Dieses Ungleichgewicht von Arbeitnehmenden zu RenterInnen wird auch die Sozialkassen vor Herausforderungen stellen.
Abbildung 1 Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland, 1950-2060.
Gerade aber das Vorhandensein gut ausgebildeter Fachkräfte ist für Unternehmen, die in einem Land mit vergleichsweise geringer Konsumfreude wie Deutschland tätig sind, von großer Bedeutung.[5],[6] Zum einen müssen sich die Unternehmen durch die schrumpfenden Binnenmärkte internationalisieren und benötigen daher Mitarbeitende mit Kenntnissen von den unterschiedlichen Kulturen und Ländern; zum anderen müssen sich diese Unternehmen im internationalen Kontext durchsetzen, sodass sie noch größere Anstrengungen hinsichtlich des Innovationsgrades unternehmen müssen. Inwieweit die Digitalisierung die Folgen des demografischen Wandels abmildern kann, bleibt abzuwarten. Zwar gibt es hierzu einige Studien, jedoch könnte eine mögliche bevorstehende Rezession, ausgelöst durch internationale Krisenherde in China oder Italien, das Umsetzungstempo verlangsamen, sodass schlicht die monetären Mittel zur Finanzierung der hohen Investitionskosten fehlen.[7]
Hinsichtlich der Internationalisierung von Unternehmen wird es zunehmend wichtig sein, starke internationale, politisch getriebene Partnerschaften auf Augenhöhe zu erarbeiten. Interessant sind hierbei insbesondere die sog. aufstrebenden Schwellenländer wie Indonesien, Ghana, Nigeria usw., die aufgrund ihres hohen Bevölkerungswachstums und Technisierungsgrades interessante Absatzmärkte vorweisen. Dort spielt in Zukunft die Musik, ob wir wollen oder nicht!
Abbildung 2 BIP Wachstumsraten OECD- und Nicht-OECD-Länger, Quelle: Weltbank, zitiert nach IZGA (2018)
In Bezug auf die Erhaltung der Innovationskraft hat Deutschland Herausforderungen hinsichtlich der Arbeitsmarktmobilität, Arbeitskraftverfügbarkeit, Brain Drain und teilweise Prekarisierung der (wissenschaftlichen) Arbeit zu meistern. Beispielsweise können fehlende qualitative Faktoren der Arbeit gerade bei hochqualifizierten, mobilen Fachkräften zur Abwanderung führen.
Ausblick
Deutschland muss sich in Bezug auf seine Innovationskraft im internationalen Vergleich noch weiter steigern, um etwa in Branchen mit hohen Wachstumsraten, wie etwa der Mikroelektronik (Smart Sensors, Autonomes Fahren, KI etc.) oder der Gesundheitswirtschaft wettbewerbsfähig zu bleiben. Einige Bemühungen wurden hierzu jüngst durch die Förderung von Forschungs- und Anwendungsprojekten seitens der Bundesregierung vorangetrieben – jedoch – ob der Zug nicht schon längst abgefahren ist und auf den Gebieten nicht schon andere Länder (China, Südkorea, Japan, Frankreich, USA etc.) einen uneinholbaren Vorsprung haben, wird davon abhängen, wie konsequent entsprechende Maßnahmen in Deutschland umgesetzt werden. Ferner braucht es gut ausgebildetes und lernkompetentes Personal, um den sich immer komplexer werdenden und sich immer schneller entwickelnden Themen inhaltlich zu widmen.
Dabei sind neue Technologien beides: Treiber für Innovation und gleichzeitig potentielle Produkte. Zur Umsetzung bedarf es einer effektiven Förderung, die durch die Optimierung struktureller sozialpolitischer und infrastruktureller Faktoren konterkariert wird. Zum Beispiel sollte die lange bei Arbeitnehmern geforderte Flexibilität auch bei Arbeitgebern Einzug halten, z.B. in den Strategien auf dem Gebiet von „New Work“ erarbeitet und unterstützt werden. Hier gilt es qualitative Rahmenbedingungen zu verbessern, und z.B. Lebensarbeitszeitkonten, flexibles Arbeiten (wo möglich), und transparente Aufstiegsmöglichkeiten einzuführen. Ein weiterer Punkt ist die gezielte und zeitnahe Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften. Neue Lernthemen müssen zeitnah und intensiv geschult werden, und nicht erst durch eine achtzehnmonatige Weiterbildung in Präsenz. Hierfür müssen neue didaktische Lernkonzepte erarbeitet werden, die bundesweit in Trainingsprogrammen umgesetzt werden. Auch eine gezielte Migration aus anderen Ländern könnte ein wichtiger Faktor zur Linderung des Fachkräftemangels sein.
Hinsichtlich der Infrastruktur stellt u.a. der langsame Breitbandausbau ein Hemmnis dar, den es mit intelligenten Anreizen voranzutreiben gilt, um die Digitalisierung zu unterstützen.[8] Neue Technologien, etwa „Internet from Space“ können dieses Vorhaben flankieren. Hierfür müssen die Unternehmen jedoch auch für die neuen technischen Möglichkeiten sensibilisiert werden und das Marktpotential erkennen. Neben den entsprechenden Strukturen, z.B. im Rahmen eines gezielten Wissens- und Technologietransfers, bedarf es deshalb nach wie vor jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräften, die befähigt werden, ihre Ideen und Ziele im Sinne des Unternehmens umzusetzen. Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen im internationalen Kontext ist demzufolge nicht zuletzt auch eine Frage der Organisationskultur, die es gilt auf sich immer schneller verändernde internationale Märkte hin auszurichten.
[1] Vgl. Manager Magazin (2018): Deutschland erzielt den weltgrößten Überschuss, online unter: http://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/handelsbilanz-deutschland-laut-ifo-mit-weltgroesstem-ueberschuss-a-1224016.html und Deutsche Wirtschaftsnachrichten (2018): Handelsstreit mit den USA: der EU droht die Spaltung, online unter: https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2018/07/30/handelskrieg-mit-den-usa-der-eu-droht-die-spaltung/ (beide Links 1.11.2018).
[2] Vgl. Deutschland Funk (2018): Demografischer Wandel. „Die Rentenkasse wird sehr angespannt sein“, online unter: https://www.deutschlandfunk.de/demografischer-wandel-die-rentenkasse-wird-sehr-angespannt.694.de.html?dram:article_id=408560 (1.11.2018).
[3] Vgl. Kölner Stadt Anzeiger (2018): Demografie TK-Studie sieht bis 2030 bis zu sechs Millionen fehlende Arbeitskräfte, online unter: https://www.ksta.de/wirtschaft/demografie-tk-studie-sieht-bis-2030-bis-zu-sechs-millionen-fehlende-arbeitskraefte-30733326 (1.11.2018).
[4] Vgl. IZGA (2017): Deutschland 2040: 10 Thesen zu Arbeitsmarkt und Rente, Demografie und Digitalisierung, online unter: igza.org/wp-content/uploads/2017/12/IGZA-Arbeitspapier-2.pdf (1.11.2018).
[5] Institut der deutschen Wirtschaft (2018): Ausgabenstruktur der privaten Haushalte im EU-Vergleich, abgerufen unter: https://www.iwkoeln.de/studien/iw-kurzberichte/beitrag/galina-kolev-ausgabenstruktur-der-privaten-haushalte-im-eu-vergleich-373327.html (1.11.2018).
[6] Vgl. Eurostat (Sparquote): https://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&plugin=1&language=de&pcode=teina500 (1.11.2018).
[7] Siehe Anm. 4.
[8] Vgl. IW Köln (2016): Digitalisierung und Mittelstand. Eine Metastudie. IW-Analysen Nr. 109, online unter: https://www.iwkoeln.de/studien/iw-analysen/beitrag/vera-demary-barbara-engels-klaus-heiner-roehl-christian-rusche-digitalisierung-und-mittelstand-eine-metastudie-312107.html und Tagesschau (2018): Warum Deutschland hinterherhinkt. Online unter: https://www.tagesschau.de/inland/internet-breitband-101.html (beide Links 1.11.2018).